Sonntag, 18. Juli 2010

Die Stadtmaus und die Landmaus

Die Idee zu diesem Artikel kam mir, als mein Sohn unbedingt am Sonntag abend einen Gyros mit Pitta haben wollte. So setzte ich mich in mein Auto (also wirklich, wegen 1Souvlaki)und fuhr in den nächsten Ort. Dieser nächste Ort liegt an einem Hafen. Um zum Gyrosbrater zu gelangen, muss man am Hafen vorbei. Und da, genau da, stand mein heutiger Artikel am Strassenrand.
Vor besagtem Hafen standen die Autos Schlange und kein Durchkommen zu irgendeinem Gyros war möglich.
Ja, dachte ich, das sind wieder die armen Athener, die zurück in die Mausefalle müssen. Und mir fiel wieder die Fabel von Stadt- und Landmaus ein.

Zu meiner Scham muss ich gestehen, dass ich bis vor 4 Jahren auch noch zu der ersten Kategorie gehörte, nach 22 Jahren Stadtleben aber durch glückliche Fügungen (eine davon hat damit zu tun, dass der 2. Bürgermeister von meiner neuen Wahlheimat im Lotto gewann und sich einen Fährenpark zulegte) des Athener Molochs in letzter Minute entkommen konnte.
Was ist denn so schlimm an Athen, wird sich mancher fragen, der noch nie in Athen war und mit dem Klang des Namens nur weisse Rosen (oder waren es rote?) verbinden kann.
Lest weiter und dann überlegt Euch, welche Maus es besser hat.

Die Athener Maus fühlt sich im Zentrum des Universums. Ein Platz, an dem Politik gemacht wird (egal ob positiv oder negativ). Ein Ort an dem man jeden Tag von neuem seinen Mut und Tatendrang ausprobieren kann, wenn es darum geht, 1,5 Std. zur Arbeit und 1,5 Std. abends durch die ganze, voll Abenteuer brodelnde Stadt, nach Hause zu fahren. Eine Stadt, in der es oft statt nach Jasmin und Nichtolouloudo (Cestrum nocturnum), nach Tränengas und sonstigen Abgasen duftet. Eine Stadt, in der jedes Überqueren einer Strasse zu einem Abenteuer wird.

In dieser Stadt wohnt also die Athener Maus. Sie verbringt ihren Tag mit vielen Stunden Warten. In der Autoschlange, in der Schlange vor der Kasse, wartend auf die U-Bahn oder die Busse, wartend auf die Rente, wartend auf den nächsten Feiertag, wartend auf ein verlängertes Wochenende, wartend in den Schlangen bei Behördengängen, wartend auf ein paar Tage Sommerurlaub.
Die Athener Maus ist ständig gehetzt, wie man leicht an ihrem müden Aussehen erkennen kann. Sie ist blass, raucht zu viel, ständig auf der Fahrt, um ihre Jungen von einem Ort zum anderen zu bringen und fällt abens todmüde in den Fernsehsessel. Auf einem Abendspaziergang durch Athen, wird man kein Fenster ohne Fernsehflimmern finden.
Die Athener Maus hat Angst vor der Leere. Grashalme und Bäume kann man an 10 Fingern abzählen, dafür spriezen jeden Tag neue Hochhäuser aus dem Boden.
Trotz ihres Zusammengerottetseins hat die Stadtmaus Angst vor Ihresgleichen. Türen werden abgeschlossen; um ins Innere seines Hauses zu gelangen, braucht mein Stadtmausschwiegervater 4 Schlüssel: einen fürs Gartentor, einen für die äussere Haustür, einen für die innere Haustür und einen für die Tür von Wohnzimmer zur Küche.

Die Athener Maus ist stolz darauf, alle kulturellen Angebote vor der Haustür (sozusagen, weil die Fahrt ins Zentrum mit Parkplatzsuche ca. eine Stunde in Anspruch nimmt) zu haben. Kino, Bars, Diskotheken, Oper, Ausstellungen etc. alles da.
Nur vergisst sie, dass sie im letzten Jahr nur einmal nicht zu müde war, nach der Arbeit oder am Wochenende den Weg dahin auf sich zu nehmen...

Die Athener Maus belächelt alle Nicht-Athener-Mäuse als Hinterwäldler.
Sie wohnt schliesslich neben Kinos, Museen, Theatern und Ausstellungsräumen. Dass sie eigentlich nur durch Kleidershops stöbert, braucht sie ja keinem auf die Nase zu binden...

An Feiertagen und in den zu kurzen Sommerferien verbringt die Athener Stadtmaus ihre Zeit am liebsten (oder gezwungenerweise) im Autostau auf dem Weg aufs Land. Dort angekommen, versumpft sie dann tagelang in einem Liegestuhl in der Sonne, und reläxt. Sie ist so ausgelaugt, dass sie ihre Batterien nur liegend aufladen kann. Das Auto wird auch immer genau vor diesem Liegestuhl geparkt, damit die Maus sich nicht auf dem Rückweg dahin gleich wieder verausgabt.

Im Gegensatz dazu ist die Landmaus ausgeglichen, ruhig und auch durch fast nichts aus der Ruhe zu bringen. Sie hat alle wichtigen Sachen vor der Türe: die Nachbarin zum morgendlichen Kaffetrinken im Nachthemd und das Cafeneion für die täglichen Besprechungen des letzten Fussballmatches der Mäusemänner. Mit dem neusten Dorftratsch ist das Bedürfnis nach kulturellen Ereignissen eigentlich auch schon erschöpft. Es gibt zwar Angebote an Hobbykursen, oft sogar umsonst, ausserdem verschiedene Vereine zur Verschönerung und Verbesserung der Umwelt, doch diese werden nur von geflohenen Stadtmäusen besucht.

Die Landmaus nennt den offenen Himmel, die Wälder und Wiesen und das Meer ihr Eigen. Sie erlebt 4 Jahreszeiten, während in Athen eigentlich nur noch Sommer und Winter zu fühlen sind. Sie pflanzt ihre Nahrung oft selbst an und lächelt milde über die arme, gestresste Stadtmaus, die so total abhängig ist vom Angebot des Supermarkts.
Sie vergisst aber leider auch, dass sie ohne die Stadtmaus auch nicht überleben kann. Die Stadtmaus bringt Geld, wenn sie kommt. Sie kann man mit den Überresten der Tavernen füttern und an sie kann man auch baumlose, winzige, nicht bebaubare, im Flusslauf liegende (sieht man ja nicht im Sommer, dass da im Winter Wasser durchläuft)und sonstige unbrauchbare Grundstücke verkaufen. Man kann Stadtmäuse auch sonst gut über den Tisch ziehen...

Neuerungen setzen sich nur langsam durch: so können sich Landmäuse z.B. nur sehr schwer an Errungenschaften wie Recycling gewöhnen. Deshalb kann man ganze Hauseinrichtungen an den ungewöhnlichsten Stellen finden, auf Bergesspitzen und in tiefsten Wäldern. Man muss allerdings zugeben, dass die Stadtmaus auch dazu beiträgt, die Umwelt zu verschönern. So behängt sie auf ihren Wochenendbesuchen die Olivenbäume mit bunten Plastiktüten oder wirft die Überbleibsel des letzten Gyros einfach bei der Fahrt aus dem Fenster an den Strand.

Welche Maus hat es denn schliesslich besser, findet Ihr?
Ich für meinen Teil habe den goldenen Schnitt für mich gefunden: Leben auf dem Land und Kultur und tiefschürfende Gespräche in der Stadt. Meist reicht ein Tag, um meinen Synapsen wieder Nahrung für einen Monat zu bescheren und dann habe ich wieder Ruhe, frische Luft, meinen Gemüsegarten und den weiten Himmel über mir.Und... es gibt ja auch das Internet!

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